Text: Ava Slappnig
Mein Orientierungssinn war schon immer recht schlecht. Das heisst, ich verirre mich öfters auf Gängen, strande auf vermeintlichen Wanderwegen, die sich dann in schmale Pfade verwandeln und ganz auflösen, in falschen Quartieren oder an unbekannten Haltestellen. Eine meiner Navigationsapps rettet mich dann jeweils aus dieser misslichen Lage.
Seit einigen Wochen quillt der Speicher meines Handys aber mit obskuren Systemdaten über und verstopft und blockiert alle wichtigen Apps – auch den Ortungsdienst. Passend zur fragilen Weltlage und der damit einhergehenden überforderten Gemütslage meines Umfelds bin ich so auch ins neue Jahr gestartet: orientierungslos und verwirrt.
Das brachte mich ins Grübeln. Vom Weg abkommen hat viel mit Scheitern zu tun, und unser kapitalistisches System hat mich gelehrt, dass nur gescheitert wird, um später leistungsstärker zu funktionieren als vorher. Offensichtlich verfehle ich die richtigen Wege dauernd. Nicht nur in der physischen Welt, auch wenn ich durchs Internet stolpere, dort riesige Labyrinthe betrete oder mich in meinen eigenen Gedanken verliere. Ich weiss, dass es vielen so geht.
Weil Scheitern halt doch nur ein Konzept ist, habe ich begonnen, mich dieser Verirrung aktiv hinzugeben. Das führt dazu, dass ich draussen teilweise riesige Umwege laufe, meine Distanzen sich schier ins Unendliche dehnen und das ursprüngliche Ziel immer mehr zusammenschrumpft. Nichts daran ist produktiv. Das klingt womöglich banal, aber diese Erkenntnis ist tatsächlich sehr befreiend. Ohne die Gewissheit einer wegweisenden App im Jackensack nehme ich zudem meine Umgebung viel bewusster wahr. Die Wege, die kleinen Begegnungen bei Gegenverkehr, meine Schritte und die intakte Natur, in der ich mich bewege, werden weniger selbstverständlich. Seit diesen Umwegen verspüre ich so regelmässig eine grosse Ehrfurcht vor unserem Planeten – und das ist es doch, was wirklich zählt.