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Diesen Käse gibt es seit 7000 Jahren!

Im Toggenburg wird Tradition bewahrt und gelebt. Niemand weiss das besser als Köbi Knaus, der Bloderchäs herstellt – einen Käse, den schon die Sumerer vor Jahrtausenden produzierten.
24.05.2024 • Text und Bilder: Martin Weiss
Köbi stellt seinen Bloderchäs auf dem offenen Feuer her.

Nirgends in der Schweiz ist die Käsevielfalt grösser als im Toggenburg. Wie kommt das? Sind die Älpler zwischen dem Säntis und den Churfirsten einfach kreativer? Oder hat es mit dem freiheitsliebenden Charakter der Menschen hier zu tun?

Köbi Knaus, dessen Familie seit 1734 in Unterwasser einen Bauernhof mit einer Käserei bewirtschaftet, verweist auf die Geschichte. «Immer wieder haben sich die Toggenburger gegen die Obrigkeit gewehrt, allen voran gegen die Fürstäbte von St. Gallen. Sie gehörten auch zu den Ersten, die sich in der Ostschweiz der Reformation anschlossen. Ein anderer Grund: Es gibt über ein Dutzend Käsereien in unserer Region. Die müssen sich profilieren, also kreativ sein.»

Die Anfänge der Käseproduktion

Köbi, heute 77-jährig, geht noch immer alljährlich im Sommer «z’Alp» und gehört zu denen, die Bloderchäs herstellen. Das ist ein Urkäse, dessen Wurzeln bis in die Anfänge der Milchwirtschaft reichen. Bereits die Sumerer haben gemerkt, dass die Milch mit der Zeit nicht nur sauer wird, sondern auch eindickt. Diese gallertartige Masse in Formen zu füllen und zu pressen, war naheliegend. So entstand vor rund 7000 Jahren der erste Käse der Menschheitsgeschichte. Von den Römern und den Kelten wurde die Methode übernommen und hat sich in einigen wenigen alpinen Regionen bis heute erhalten. Allen voran im Toggenburg. Und bei Köbi.

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Köbi Knaus präsentiert stolz seinen Bloderchäs.

Köbi blodert

Es qualmt in Köbis Käserei oberhalb von Unterwasser, denn er stellt seinen Bloderchäs in einem «Chessi» auf dem offenen Feuer her. Wie das geht, hat er von seinem Vater gelernt. Auch der Rührstock aus Tannenholz, mit dem er die gebrochene Masse in Bewegung hält, ist noch von der gleichen, knorrigen Art. Vor zwei Tagen hat er der entrahmten Milch die Milchsäurebakterien zugegeben. Je nach Aussentemperatur dauert es bis zu 30 Stunden, bis die Milch nach der Zugabe gerinnt.

Ist es kühl draussen, ist die Rauchentwicklung enorm. Tränende Augen gehören dazu. «Es sind Freudentränen», sagt Köbi lachend und rührt geduldig weiter, wobei er die Temperatur der Masse immer wieder kontrolliert. Hat sie 32,5 Grad erreicht, gibt er noch einige Liter frische Vollmilch dazu, damit sich der Bruch besser setzen kann. Nochmals zwei Minuten rühren, dann folgt der grosse Moment: Köbi nimmt das Chessi vom Feuer und beginnt mit der – wie er sie nennt – Hebammenarbeit.

Er taucht einen Schöpfer in die Masse und hebt den Bruch langsam nach oben. Fast in Zeitlupe macht er das. «Geschieht das zu schnell, verwildert die ‹Dickete›. Das hiesse, sie würde nicht homogen.» Und homogen muss sie sein, denn nun wird sie Kelle für Kelle in die viereckigen Formen gefüllt, wo sie, durch Gewichte beschwert, die restliche Flüssigkeit verliert. Nach zwei Tagen und mehrmaligem Wenden hat der Bloder die Form kompakter Kuben angenommen. Gesalzen und in Scheiben geschnitten, wird er als Frischkäse verkauft. Einige wenige Exemplare lässt Köbi 60 Tage oder länger reifen, worauf sie eine bräunliche, speckartige Schicht ansetzen. Der vollreife Bloderchäs ist geschmacklich deutlich intensiver und saurer, deshalb wird er im Handel auch so, nämlich Sauerkäse genannt. Manche werden in der Gastronomie und von der Metzgerei Metzger noch geräuchert, womit der Bloderchäs dann vollends zur Delikatesse wird.

Es brodelt im Toggenburg

Eigentlich dürfte Köbi Knaus seinen Bloderchäs gar nicht so nennen, sagen die Hüter der geschützten Ursprungsbezeichnungen, besser bekannt als Apellation d’origine controlée (AOP). Deren Pflichtenheft schreibt nämlich seit 2010 einen Fettgehalt von maximal 14,9 Prozent vor. Köbis Bloderchäs hat jedoch bis zu 20 Prozent, weil er etwas mehr Vollmilch dazu gibt. «Das haben wir in unserer Familie immer so gemacht. Warum der Fettgehalt jetzt plötzlich tiefer sein soll, ist für mich nicht nachvollziehbar», sagt Köbi. Auch andere kleinere Produzenten wollen den Vorgaben nicht nachkommen. Typisch Toggenburger halt. Als Rebell sieht sich Köbi jedoch nicht. «Meine Kundinnen und Kunden wollen meinen Bloderchäs genau so, wie wir ihn immer gemacht haben, und weil er wegen des höheren Fettgehalts mehr Geschmack hat. So gesehen bin ich kein Revoluzzer, sondern ein Bewahrer der Tradition.»

Exkurs: Wann begann die Labkäserei?

Irgendwann vor rund 5000 Jahren hat ein neugieriger Mensch in Mesopotamien den Magen eines jungen, geschlachteten Kalbs geöffnet und darin weisse Klümpchen entdeckt. Das führte zur Erkenntnis, dass man die Milch auch durch die Zugabe des Ferments, das sich im Magen der Kälber findet (= Lab), zum Gerinnen bringen und so einen süsslichen Käse herstellen kann. Vor 3500 Jahren nutzten auch die alten Ägypter diese Methode, wie archäologische Funde von Tongefässen im Grab des Pthames in Sakkara nahelegen. Sie waren mit einer weissen Substanz gefüllt, die als Überreste eines Ziegenkäses identifiziert werden konnten.

Im Rahmen der Wanderbewegungen verbreitete sich die Methode in Europa und durch die griechischen Kolonien ab 700 v. Chr. auch in Afrika. Bei uns in den Alpen wurde die Labkäseherstellung durch die Römer befördert, die den caseus helveticus offenbar besonders schätzten. All diese Labkäse waren keine Hartkäse, wie wir sie heute kennen, weil die grossen Mengen Lab dafür nicht vorhanden und die Kuhherden zu klein waren. Dies dürfte auch der Grund sein, warum das Verfahren nach dem Zusammenbruch des römischen Imperiums vergessen ging. Die Älpler gingen wieder zum Bloderchäsen und zur Zigerproduktion über.

Erst im 16. Jahrhundert wurde das Käsen mit Lab wieder entdeckt. Dabei wurde erstmals das Erwärmen der Masse genutzt, um härtere und feinere Käse herzustellen. Einer der ersten war der Gruyère, der sich zum Prototyp der würzigen Hartkäse und zum Exportschlager entwickelte. Auch der extraharte Sbrinz war früh dran. 1530 wird er erstmals mit Mauleseln von der Innerschweiz über die Alpen nach Italien transportiert. Zu Beginn noch unter dem Namen Gruyère d’Emmental, exportierten die Emmentaler ihren löchrigen Käse ebenfalls schon früh, vor allem nach Frankeich. Zu den Labkäsepionieren gehörten auch die Mönche vom Kloster Bellelay mit dem Tête de Moine, erstmals erwähnt um 1570. Fast alle grossen Schweizer Käsesorten entstanden in dieser Zeit. Einzig der Tilsiter war ein Spätzünder. Entstanden ist er im 18. Jahrhundert im gleichnamigen Dorf im damaligen Ostpreussen, wo ausgewanderte Schweizer als Käser tätig waren. 1890 wurde das Rezept reimportiert und bildet seither die Grundlage für die Tilsiterherstellung in der Ostschweiz.

Weitere Toggenburger Käsetüftler

Martin Weiss

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Nordostschweiz Magazin DAS WANDERN

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