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Kolumne

Wandern ist «brat»

06.09.2024

Während ich diesen Text schrieb, war mir heiss. Ich schwitzte schon die ganze Woche in meiner Küche, auf dem Balkon, im Bus, zwischen Sandsteinbauten und Beton und gefühlt sogar im Fluss. Meine Finger verschmolzen mit der glühenden Tastatur, in meinem Kopf knatterte ein überhitzter Diaprojektor mit Bildern von Waldbränden, gehässigen Debatten und offenen To-dos. Vor den Augen ein permanentes Hitzeflimmern. Ich schleppte mich dampfend aus der Wohnung durchs Quartier in die Agglo, an den Rand der Stadt und in den Wald. Hier war es schattig und die Luft ein kleines bisschen weniger verbraucht – immerhin roch es nur nach meinem und nicht nach fremdem Schweiss. Nach wie vor erforderte in der Schwüle jeder Schritt eine gigantische Anstrengung und nach ein paar 100 Metern legte ich mich dann auf den Waldboden, halb in den Dreck und halb aufs Moos und wartete. Moos ist ein Urgewächs, hat sich aus Algen weiterentwickelt und ist die erste Pflanze, die sich vor über 400 Millionen Jahren an Land zog. Eigentlich ziemlich verrückt, dachte ich, und vergrub meine Finger im feuchten Moospolster. Während ich still dalag und den Blättern über mir zuhörte, kühlte ich langsam ab. Das lag mit grosser Wahrscheinlichkeit am Kühlungseffekt der Photosynthese, aber auch daran, dass mich das Liegen und der grüne Filter des Walds zunehmend entspannte.

Seit ein paar Monaten gibt es diesen Megatrend vom grünen Albumcover der britischen Musikerin Charli XCX; das Album heisst «brat» und trifft den popkulturellen Zeitgeist dieses Sommers. «Brat» heisst auf Deutsch übersetzt so etwas wie Göre; Charli XCX und das Internet nutzen «brat» auch als Adjektiv und etwa synonym mit ein bisschen schludrig, etwas unperfekt, relaxed oder cool. Ich lag da, salzig, klebrig, kühl und schlapp – und das war in Ordnung. Weil, nun ja, was soll ich sagen, auch Wandern ist «brat». Ich blieb noch eine Weile liegen, kehrte dann um und ging zurück ins Chaos der Stadt.

Über die Autorin

Ava Slappnig hat Germanistik, Gender Studies und Kulturpublizistik studiert. Sie arbeitet als Aufsicht im Kunstmuseum Bern und als Journalistin im Kulturbereich. Neben den offiziellen Wanderwegen erkundet sie auch mal Diskurse, Ideen und gesellschaftliche Phänomene.

Zu jeder Kolumne gestaltet die junge visuelle Gestalterin Leonie Jucker aus Bern eine lllustration.

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Magazin DAS WANDERN

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