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Wanderreportagen

Dunkle Gesellen im Licht des Südens

Sieben Mörder sollen einst auf dem Septimerpass GR ihr Unwesen getrieben haben – so erzählt es die Sage. Ihre verrufene Herberge auf dem Übergang ins Bergell ist längst verschwunden. Für Schneeschuhwandernde bietet die Region aber noch genügend Abenteuer.
29.11.2024 • Text: Reto Wissmann, Bilder: Markus Ruff
Heute sind es keine Räuber und Mörder mehr, die auf dem Weg zum Septimerpass ihre Spuren hinterlassen.
Auf verschneiten Römerwegen zum Septimerpass
Bivio, posta • GR

Auf verschneiten Römerwegen zum Septimerpass

Bivio bedeutet so viel wie Weggabelung. Der Name des kleinen Dorfes am Fusse des Julier- und des Septimerpasses erzählt eigentlich schon die ganze Geschichte: Seit der Römerzeit waren die beiden Pässe wichtige Übergänge ins Engadin und via Bergell nach Italien. Während Jahrhunderten nächtigten hier die Reisenden sowie die Fuhrleute, und die Postkutscher wechselten die Pferde. Heute machen nur noch wenige halt in Bivio. Ausnahmen sind Skitourengänger, welche die kaum von Skiliften verbaute, oft bis in den Frühling hinein schneesichere Passlandschaft schätzen. Und auch für Schneeschuhwanderinnen hat Bivio als Ausgangspunkt einiges zu bieten. Eine markierte Tour führt vom Dorf in die weisse Einsamkeit bis zum Septimerpass. Der Übergang ins Bergell war in der Geschichte lange Zeit bedeutend, da er zwar steiler und lawinengefährdeter war als der Julierpass, dafür aber schneller nach Italien führte. Schon die Römer haben ihn genutzt, was viele Fundstücke belegen. Heute ist der Römerweg im Sommer Wanderern und Bikerinnen und im Winter Schneeschuhläufern vorenthalten. Die Tour startet wenige Meter hinter dem Hotel Post und führt zunächst rechts ein Strässchen hinauf. Die Route quert dann einen der drei Skilifte und verläuft schliesslich dem Bach Eva da Sett entlang ins Tgavretga-Tal hinein. Ganz hinten quert sie den Bach und führt – immer mit pinkfarbenen Pfosten markiert – am Fusse von Roccabella, Motta Radonda und Piz Grevasalvas entlang auf die einsame Hochebene Plang Camfer. Man kommt an einem Holzkreuz vorbei, und nach einem weiteren kurzen Aufstieg ist auch schon die oft zugige Passhöhe erreicht. Etwas Windschutz bieten die (im Winter geschlossene) Cesa da Sett oder das Gebäude des Elektrizitätswerks der Stadt Zürich etwas südlich der Passhöhe. Zurück nach Bivio geht es auf demselben Weg.

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Langsam verdrängt die Nacht das gleissende Licht über der eingeschneiten Passlandschaft. Der Verkehr auf der Strasse in Richtung Engadin wird spärlicher. Die wenigen Skilifte von Bivio stehen still. Skitourengängerinnen und Schneeschuhläufer sind längst von ihren Touren zurückgekehrt und machen es sich in der Wärme ihrer Feriendomizile gemütlich.

Mit einem verschmitzten Lächeln im Gesicht betritt Arturo Fasciati die Bündnerstube des Hotels Post. Decken und Wände sind mit Arvenholz getäfert, in der Ecke steht ein schwarzer Specksteinofen und im Regal liegen Gästebücher, die bis ins 18. Jahrhundert zurückreichen. Der Raum atmet Geschichte, und um eine Geschichte zu erzählen, ist auch Arturo hierhergekommen. Er kennt sich aus in dieser Gegend. Als gebürtiger Bivianer und Sohn eines Bergbauern weiss er viel über die hiesigen Menschen und die Natur – und als Naturheilpraktiker bringt er beides zusammen. Im Sommer gibt er auf Kräuterwanderungen sein Wissen über die Heilkräuter «seiner» Berge an Interessierte weiter.

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In der Arvenstube des Hotels Post in Bivio erzählt Arturo Fasciati die alte Legende.

«Poesias diversas»

Arturo blättert in einem zerfledderten Büchlein. «Poesias diversas sur fatts leggendiarics» heisst es vorne drauf. Geschichten und Legenden aus der Region sind darin in Bivianer Romanisch festgehalten. Aufgeschrieben hat sie Rodolfo Lanz vor über 100 Jahren. Die Familie Lanz – oder Lancio, wie sie sich früher nannte – hat in Bivio selbst Geschichte geschrieben. In achter Generation führt sie das Hotel Post, das prägnant an der Strasse am Dorfausgang Richtung Julierpass steht. Es war das erste Gasthaus, das Reisende an der bedeutenden Gabelung von Julier- und Septimerpass beherbergte. Zudem diente es als Poststelle und Pferdewechselstation für die Postkutschen und Fuhrwerke.

Unterdessen hat Arturo Fasciati die Stelle gefunden, die er in dem alten Büchlein gesucht hat: «Als môrders da Set», heisst die Legende über sieben Mörder, die hier einst ihr Unwesen getrieben haben sollen. «Auf dem Septimerpass hat sich eine gruselige Geschichte zugetragen», beginnt Arturo zu erzählen. «Seither spukt es hier oben, weil die sieben Seelen der Mörder keine Ruhe finden.» Die Geschichte handelt von einer Zeit, als der Septimerpass eine wichtige Handelsroute ins Bergell und weiter nach Italien war und auf der Passhöhe noch ein Hospiz stand.

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Im frischen Pulverschnee macht die Tour besonders Spass.

Der Ritter und die Magd

Eines schönen Tages soll ein nobler Ritter auf seinem Weg in den Süden hier vorbeigekommen sein. Auf dem Pass wurde er von der Nacht überrascht und kehrte im Hospiz ein. Was er nicht wusste, war, dass die sieben Wirtsleute Räuber und Mörder waren. In einem unbemerkten Moment gestand ihm die Magd die Wahrheit und warnte den Edelmann: «Wenn du schläfst, schleichen sie an dein Bett, bringen dich um, nehmen dein Geld und vergraben dich im Keller.»

Magd und Ritter schienen sich offenbar sympathisch gewesen zu sein und nahmen gemeinsam Reissaus. In stockdunkler Nacht flüchteten sie den steilen Pfad in Richtung Bergell hinunter und versteckten sich. Erfolglos suchten die Räuber nach ihnen und gaben schliesslich auf. Der Ritter hingegen schlug im Bergell Alarm. Soldaten stiegen zum Hospiz hinauf, machten die Räuber dingfest und richteten sie gleich vor Ort hin. «Drum wundert euch nicht, wenn es auf dem Septimerpass spukt», sagt Arturo Fasciati. «Die sieben Seelen der Räuber irren hier in ewiger Verdammnis umher.»

«Die sieben Seelen der Räuber irren hier in ewiger Verdammnis umher.»

Arturo Fasciati

Spurensuche auf Schneeschuhen

Am nächsten Tag wollen wir der Sache auf den Grund gehen. Wobei: Schon die Ausgangslage ist schwierig, denn von der Legende existieren verschiedene Versionen. In einer ist von einem namenlosen Edelmann die Rede, in der anderen von einem Spross des Adelsgeschlechts Salis aus Soglio. Unklar ist auch, ob die sieben Räuber tatsächlich auf dem Pass hingerichtet oder nach dem Ereignis spurlos verschwunden sind. Teilweise werden die Räuber vom Septimerpass auch als «Gerechte» im Stile von Robin Hood gedeutet, die den reichen Reisenden das Geld abnahmen und es unter den Armen verteilten.

Wie auch immer. Auf derselben Strecke, wie einst der Edelmann dem Licht des Südens entgegen auf den Septimerpass geritten sein soll, verläuft heute eine markierte Schneeschuhtour. Sie beginnt gleich hinter dem Hotel Post, unterquert zunächst einen Skilift und führt dann im Tgavretga-Tal an Ställen und Höfen vorbei, die problemlos aus der Zeit von Rittern und Mägden stammen könnten. Danach geht es immer weiter in die Höhe, und bald gibt es weder Baum noch Haus noch Weg – nur noch Weiss. Besonders schön ist die Hochebene Plang Camfer, die eingebettet zwischen den hohen Bergen unterhalb des Septimerpasses liegt.

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In Richtung Bergell sind der Ritter und die Magd damals vor den Mördern geflohen.

Wonne statt Gruseln

Das Hospiz auf dem Septimerpass existiert schon lange nicht mehr, genauso wenig wie das römische Heerlager, von dem hier viele Spuren gefunden worden sind. Doch Arturo Fasciati hat uns genau beschrieben, wo einst müde Reisende eingekehrt sind. Das stattliche Gasthaus lag etwas unterhalb der Passhöhe an einem kleinen Bach. Unter dem Schnee sind noch Mauerreste begraben. Das Gruseln will sich an diesem prächtigen Wintertag allerdings nicht einstellen. Vielleicht haben die Seelen der sieben Räuber unterdessen doch ihre Ruhe gefunden.

Die Köpfe der Mörder verewigt

Seit letztem Jahr gibt es auf dem Septimerpass wieder eine Herberge, die allerdings nur im Sommer geöffnet ist. Die Tgesa da Sett war einst eine Militärunterkunft und dient jetzt als Etappenort auf dem 17-tägigen Parc-Ela-Trek. Im Winter endet die Tour allerdings auf dem Pass bzw. führt auf demselben Weg wieder zurück nach Bivio. Wer bis nach Soglio, der vermeintlichen Heimat des Edelmannes, weiter wandern will, muss bis im Frühling warten.

Das Bergeller Dorf ist bekannt für seine Kastanienhaine und den Palazzo Salis. Weniger bekannt ist, dass an den ehemaligen Stallungen der Familie Salis noch heute die Köpfe der sieben Mörder prangen. Der Edelmann soll sie in Gedenken an seine Rettung in Marmor hauen gelassen haben. Etwas Wahres ist an der Legende also vielleicht doch dran.

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An den ehemaligen Stallungen der Familie Salis in Soglio prangen heute noch die marmornen Köpfe der sieben Mörder. © zvg

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Tipp

Bivio ist ein beschaulicher Ort zwischen den Skidestinationen Savognin und Engadin. Es gibt hier aber sogar ein Kino – und erst noch ein ganz spezielles. Einheimische haben einen alten Heustall in ein Filmtheater verwandelt und zeigen in der Wintersaison alte und neue Klassiker.

cinemastalla.ch

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