Der verschmähte Wanderpapa – Familienwandern ohne Kind
Die Wanderung wäre als Vater-Sohn-Tag geplant gewesen – nur mein Ältester und ich. Doch der hatte anderes vor. Ich staunte, weil er bisher noch nie das Wandern verschmäht hat. War dies nun der Augenblick, vor dem mich nur wenige Tage zuvor mein Kollege gewarnt hatte?
„Ich bin schon gespannt auf die nächsten Jahre, wenn deine Kinder älter werden“, sagte damals mein etwas älterer Journalistenkollege. „Dann werden sie nämlich nicht mehr freiwillig mitkommen.“ Ich lachte und sagte gewohnt optimistisch irgendetwas von „wir werden ja sehen“ und „mein Sohn liebt wandern, weisst du“. Dass seine Prophezeiung so schnell wahr werden sollte und ich alleine auf den Chaiserstuel NW steigen würde, kam für mich trotzdem aus dem Nichts.
Nun gut, die Gründe, warum mich der Zwergenkönig auf ein andermal vertröstete, sind nachvollziehbar. Am Morgen fuhr seine Klasse nach Bern, um einen Stadt-OL zu machen – dafür einen der raren freien Halbtage zu beziehen, wäre aus seiner Sicht ein schlechter Entscheid gewesen. Und am Nachmittag war sein geliebtes Frisbeetraining – zum letzten Mal draussen und auf Rasen, bevor es wieder in die stickige Halle ins Wintertraining geht.
Das hätte ihm auch gefallen
Ich gehe also früh raus, reise nach Oberrickenbach, wo ich ins kleine, rote Buiräbähnli steige. Das würde dem Zwergenkönig auch gefallen, fällt mir als Erstes ein, als ich die Kabinentür schliesse. Und während ich ins zweite Bähnli umsteige, eines mit einer offenen Plattform und nur für wenige Personen gedacht, kommt mir der Gedanke natürlich erneut. Es soll nicht das letzte Mal sein an diesem Tag.
Nun fehlt mir also die Testperson für meine Familienwanderung. Mein Artikel im Magazin WANDERN.CH soll von Bergen handeln, die geeignet sind für das erste gemeinsame Gipfelerlebnis in der Familie. Gemeinsam den Gipfel erklimmen, sich glücklich in die Arme fallen, als hätten wir soeben den Mount Everest geschafft, zusammen einen Gipfelsirup trinken – so habe ich mir unseren Tag vorgestellt.
Würde, hätte, müsste
Ich versuche also, mir das alles vorzustellen. Auf dem ersten Teil bis Rinderstafel würde der Elfjährige darüber referieren, dass dieser steinige Bergweg langweilig sei und er schon viel lieber einen schmalen Pfad hätte. Ich würde ihm selbstverständlich zustimmen. Auf der Sinsgäuer Schonegg würde er vielleicht die schöne Rundsicht loben, sie vielleicht auch einfach ignorieren. Und sich dann freuen, dass endlich der weiss-blau-weisse Alpinwanderweg beginnt, die ultimative Herausforderung für ihn als geübten, trittsicheren Nachwuchswanderer.
Dann würde ich ihn ermahnen, nun konzentriert zu wandern, weil eine kleine Gratpassage zu meistern ist, gefolgt vom strengen Zickzack-Aufstieg auf einem glitschigen Pfad. Das Gewitter der vorangegangenen Nacht hat den Weg aufgeweicht, ich bin froh um meine Stöcke und stelle mir vor, dass auch mein Sohn Stöcke bei sich gehabt hätte. Hätte er nämlich nicht – und ich sinniere drüber, ob das ein sinnvolles Weihnachtsgeschenk sein könnte.
Trotzdem nicht allein
Unterdessen habe ich unverhofft Kameraden gekriegt. Zwei Gruppen von Soldaten haben mich während der Rast überholt, nun steigen wir gemeinsam auf den Chaiserstuel. Ich mit meinem Leichtgewicht am Rücken, die Soldaten mit vollbepackten Rucksäcken, Seil und Pickel, dafür ohne Stöcke. Sie kämpfen mit dem rutschigen Boden.
Bald geht es gemütlich über einen flachen, grasigen Bergrücken, bevor dann die letzten 100 Höhenmeter über eine Wegspur im Geröll anstehen. Das wäre alles kein Problem für meinen Sohn. Er würde es geniessen, zusammen mit dem Papa zügig zu wandern und nicht immer auf seine kleineren Geschwister warten zu müssen. Und am Schluss behände die kleine Kletterpartie bis auf den Gipfel zu meistern. Ich würde ihm gratulieren, ihm „fünf geben“. Dann liesse er sich gemütlich ins Gras fallen und würde sein Picknick auspacken. Ich würde ihn dann bald mal fürs Gipfelfoto herzitieren.
Gipfelfoto in Grün
Ja, was mache ich ohne Gipfelfoto? Weit und breit ist kein Kind, nur die Soldaten rasten neben mir. Also frage ich sie, ob sie aufs Bild wollen. Die Offiziersanwärter sagen bereitwillig zu, strecken sogar gemeinsam mit mir die Hände in die Höhe (es sind Fliegersoldaten, wie ich später erfahre :-). Alles verläuft also so, wie es mit meinem Sohn auch etwa sein könnte. Also doch alles im Butter.
PS 1: Am Abend habe ich meinem Sohn die Fotos gezeigt und ihm von meinem Tag vorgeschwärmt, ganz nach dem Motto „Ich hatte es auch ohne dich ganz toll“. Er wird das nächste Mal wieder mitkommen, garantiert.
PS 2: Wäre der Sohn doch mitgewandert, es wäre alles viel besser gekommen. Im Training hat er sich nämlich am Knie verletzt. Jetzt läuft er mit Krücken statt mit Wanderstöcken durch die Gegend. Oje!
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