Auf fünf Meter ran an die Steinböcke
Meist sieht man Wildtiere beim Wandern nur mit sehr viel Glück und von Weitem. Unsere Familie hat letztes Wochenende gleich 19 Steinböcke auf einmal und von Nahem beobachten können. Auf einer kurzen Wanderung oberhalb Pontresina.
Die stolzen Tiere kommen im Mai in Pontresina tatsächlich sehr weit ins Tal herunter, manchmal gar an den Dorfrand, haben wir erfahren. Die Böcke haben sich an den Menschen gewohnt und dulden ihn in ihrer Nähe. Die Kinder nahmen also die viereinhalbstündige Reise ins Engadin gespannt in Angriff und freuten sich schon auf die Kehrtunnels des Albulatals.
Wir hatten zum Glück die Hilfe einer erfahrenen Wanderleiterin, die solche Führungen im Auftrag von Pontresina Tourismus mehrmals wöchentlich gratis anbietet. Das ist spannend für Familien, weil sie auf einem sehr einfachen Weg zum Erlebnis kommen – es braucht dazu in der Nebensaison keine mehrstündige Bergwanderung.
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Es hat sich gelohnt, nicht einfach allein auf der Steinbock-Promenade loszugehen und nach den Tieren zu suchen. Prompt an diesem Tag zeigte sich das Steinwild erst nur spärlich. Das drückte auf die Stimmung der Kinder, die von der langen Reise müde waren und sich natürlich vorgestellt hatten, dass ihnen die Steinböcke um die Ohren springen würden. Schliesslich hatte auch unsere Führerin anfangs erklärt, dass man den Steinböcken gescheiter den Vortritt lassen soll, wenn sie den Weg kreuzen wollen. Das hatte Eindruck gemacht.
Mit Ach und Krach hatten wir nach dreiviertel Stunden wandern schliesslich nur gerade vier einzelne Tiere erspäht – und auch nur von Weitem. Näher konnten wir nicht zu ihnen hin, denn es herrscht ein Weggebot, damit die Tiere nicht allzu sehr gestört werden. Unsere Führerin Christine Salis fand dann aber plötzlich eine Gruppe von 19 Böcken, die hinter dem Haus einer einheimischen Familie gemütlich weidete. Sie kannte den Weg dorthin und holte kurz das Einverständnis des Hausbesitzers ein. So durften wir von dessen Garten die Böcke eingehend betrachten.
Kleine Rivalenkämpfe
Es war eindrücklich, wie die stämmigen Steinböcke ohne Sorge vor irgendwelchen Feinden weideten, als wären es Kühe. Die Kinder staunten und vergassen sogleich, ihre gegenseitigen Neckereien fortzuführen. Die Steinböcke bewegten ihre Köpfe nur wenig nach unten und wieder rauf; die langen, gebogenen Geweihe machten die Bewegungen gut sichtbar. Die Lippen knabberten sekundenschnell Grashalm und Grashalm, die rosa Zunge blitzte zwischendurch auf im Mund; eine sehr nervöse Sache eigentlich, die aber die Contenance der Bündner Wappentiere nicht im Geringsten beeinträchtigte.
Weidend zogen sie einige Meter nach rechts, später wieder in die andere Richtung. Ab und zu nahm ein Tier ein paar Schritte zu schnell, die anderen zogen aufgeschreckt kurz mit, bis sie den falschen Alarm bemerkten. Und manchmal drückte der Machoismus durch und zwei Tiere kämpften miteinander, standen auf die Hinterbeine, bevor Sekunden später die Hörner aufeinander stiessen und hohl hallten.
Warten auf den Schnappschuss
Das beeindruckte natürlich die Kinder, und forderte die Zauberfee heraus. Sie hatte zu ihrem letzten Geburtstag einen Fotoapparat geschenkt bekommen. Nun wartete sie geduldig, um einen Schnappschuss zu schaffen. Auch ich versuchte es. Gar nicht so einfach. Im Garten hatte es gar noch einen kleinen Hochsitz, den wir besteigen durften. Über eine einfache Leiter, was ein wachsames Auge von uns Erwachsenen forderte.
Schliesslich hatten die Kinder genug gesehen. Auch die eindrücklichste Steinbockgruppe verliert in Kinderaugen mit der Zeit an Attraktivität. Meine Frau und ich hätten noch lange den Anblick geniessen können und wollen, doch war es an der Zeit, aufzubrechen. Es wartete der direkte Weg ins Dorf – nicht sehr spannend für die Kinder. Doch egal, mit den eben erlebten Steinbock-Bildern im Kopf nimmt man auch den langweiligsten Weg in Kauf.
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