Von Teufeln und Heiligen: Der Wanderpapa trifft den Wanderpapst
Zusammen mit Thomas Widmer habe ich den Teufel ausgemacht, bei Heiligen gerastet und bin schliesslich auf Spuren der Widmers gestossen. Es war eine dieser Wanderungen, die – nicht nur, aber auch – von der Vielfalt der Flurnamen in der Schweiz lebt.
Über den Heiligacker gehen wir zuerst, doch wäre der Name nicht auf der Karte eingezeichnet, wir hätten es nicht gemerkt. Dann durchschreiten wir die Tüfelsschlucht, biegen direkt in den Allerheiligenrank ein und steigen rauf auf den Allerheiligenberg, schliesslich auf die Wüesthöchi: Unsere Wanderung hat das Zeug für eine gruselige Himmel-und-Hölle-Geschichte. Doch der Schein trügt: In der Natur ist weder die Tüfelsschlucht wüst noch der Allerheiligenberg himmlisch.
Die Flurnamen haben aber bei der Vorbereitung der Wanderung zumindest unsere Neugier angeregt. «Flurnamen wecken meinen Spürsinn, meine Fantasie», erzählt Thomas, während wir vom Wüesthöchi genannten Pass Richtung Gwidemhöchi aufsteigen. «Flurnamen amüsieren, irritieren und intrigieren mich». Der Wanderkolumnist der Schweizer Familie ist mehrmals pro Woche wandernd in der Schweiz unterwegs und hat in seinem Buch «Mein Wortschatz» über 220 Worte festgehalten, die er unterwegs angetroffen hat. Oder die ihm eingefallen sind. Und die ihm etwas bedeuten. Nach jeder Wanderung kehrt er heim und recherchiert diese Worte. «Herauszufinden, was sie bedeuten, bringt mir Ruhe und Zufriedenheit», sagt er. Er nennt als Beispiel die Silbere. «Als ich dieses Wort zum ersten Mal hörte, sah ich vor meinem inneren Auge sofort ein silbernes Glänzen. Es erlosch nicht, bis ich wusste, ob das Wort wirklich von Silber herkommt und bis ich oben auf der eindrücklichen Karstebene im Kanton Schwyz gewesen war.»
Wir erreichen die Gwidemhöchi. Ein unscheinbarer Ort, die Blicke werden von der nahen Belchenflue und vom Tal hinunter nach Sunnenberg angezogen. Trotzdem hat die Gwidemhöchi für Thomas eine besondere Bedeutung. Denn dessen Name stammt von seinem Nachnamen ab. Er erklärt es mir so: Der Widmer war im Mittelalter jener Mann, der die Schenkungen von Ländereien an die Klöster, so genannte Widmungen, verwaltete. Ob hier ein Widmer je gewohnt hat? Möglich wäre es, herausgefunden hat es Thomas (noch) nicht.
Dann erreichen wir den eigentlichen Höhepunkt, die Belchenflue. Schön ists hier, doch nach so vielen sprachlichen Exkursen bleibt das Interesse bei den Flurnamen hängen. «Sie sind Destillate von Geschichte, eingedickt in einzelne Wörter», erklärt Thomas seine Passion. Auch nach dieser Wanderung von Hägendorf nach Eptingen wird er nach Hause zurückkehren und einiges zu tun haben: Von den Flurnamen Gnöd, Chilchzimmersattel und Drootziejer haben wir bisher noch gar nicht erst gesprochen. Eine letzte Geschichte gibt mir Thomas auf den Heimweg: «Weisst du, warum es hier in der Nähe einen Amerikanerblätz gibt?», fragt er mich. Und erzählt: Dort wurde 1854 Wald gefällt, um mit dem Geld aus dem Verkauf des Holzes die Auswanderung von 128 armen Leuten nach Amerika zu finanzieren. «Man wollte diese Menschen loswerden», sagt er. «Solche Geschichten interessieren, denn Wandernde sind keine einfältigen Rotsocken, sondern interessierte Zeitgenossen.»
Buchtipp: Thomas Widmer, «Mein Wortschatz», Echtzeit Verlag, ISBN 978-3-906807-24-9. Im Buchhandel erhältlich.
Auf Wunsch von Christoph (siehe Kommentare) hier noch die Karte und der Track der Wanderung:
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