Der Reiz des Weitwanderns
Eigentlich hätte dieser Blogbeitrag damit beginnen müssen, dass ich einfach einmal meine Siebensachen (oder wenns ums Wandern geht, wohl eher meine Drei-bis-vier-Sachen) packen, meinem gewohnten Leben auf unbestimmte Zeit Tschüss sagen und vogelfrei durch die Lande ziehen möchte. Doch angesichts des Krieges in der Ukraine fällt es mir nicht leicht, hier so easy übers Weitwandern zu schrieben, als ob nichts wäre. Millionen Menschen *mussten* ihre Sachen packen und ihr gewohntes Leben auf unbestimmte Zeit hinter sich lassen. Dabei wurden sehr viele Kilometer auch zu Fuss zurück gelegt. Eine ukrainische Freundin von mir gehört zu diesen. Sie ist jetzt bei mir zu Hause in Sicherheit, aber ihre Familie noch nicht. Dies macht mich sehr betroffen.
Und doch – oder gerade deswegen? – erwacht in mir das Verlangen nach der Freiheit, die Welt zu entdecken. Zu Fuss, aus eigener Kraft. Das Gewohnte hinter sich lassen und einmal etwas anderes sehen. Ich bin eine begeisterte Vortraghörerin. Seit die Corona-Massnahmen gelockert und Veranstaltungsbesuche wieder möglich wurden, habe ich mir viele Präsentationen reingezogen:
Der meistgewanderten Frau der Welt, Christine Thürmer, habe ich mit grösstem Vergnügen zugehört. Sie ist echt zu empfehlen, ich habe mich an einem solchen Vortrag selten schon so amüsiert. Ich habe sie mit Fragen gelöchert. Sorry nochmals an alle Mithörerinnen und Mithörer, circa die Hälfte der Fragen, die sie nach der Pause beantwortete, kamen von mir…
- Den österreichischen Pferdeflüsterer Christian Bock habe ich im Zürcher Volkshaus nach Kirgistan begleitet und mit ihm mitgefiebert, als er von einem kirgisischen Soldaten an einem vermeintlich stillen Örtchen mitten in der Wildnis mit einem Gewehr bedroht wurde. 💩
In Basel habe ich den Film über die Republik Tuva und deren Leute und Musik förmlich in mich aufgesogen und bin voller Eindrücke wieder nach Hause. Zudem habe ich dort auch das erste Mal meinen langjährigen Brieffreund Alexey aus Kzyzl getroffen. Er ist der Drummer von Huun-Huur-Tu. Als international tourender Musiker hat er schon viel auf der Welt gesehen. Sein Traum ist es, nach seiner Pensionierung in einer Jurte in der Wildnis zu leben, mit Hund und Pferd. Drei Jahre lang habe ich mir grösste Mühe gegeben, mit ihm auf Russisch zu korrespondieren. Ich habe sogar in der Facebook-Gruppe „Russkiy Basel“ jemanden gefunden, die mir als Dolmetscherin zur Verfügung stehen würde, NUR um beim Kennenlernen zu realisieren, dass der gute Alexey super Englisch kann…!
Trolled by Alexey. 🤣
- Dem Reisefotografen Corrado Filipponi bin ich an Ort und Stelle gemütlich von meinem Sitzplatz aus auf der Via Alpina und dem Jura Höhenweg zweimal durch die Schweiz gefolgt.
- Obwohl ich mit Hape Kerkeling nun wirklich gar nichts anfangen kann, fand ich sein Hörbuch über seine Weitwanderung auf dem Jakobsweg sehr unterhaltsam. Das kann ich auch empfehlen. Den Film fand ich weniger toll. Es ist ein bisschen schräg, wenn ein Schauspieler einen noch aktiven Schauspieler zu seinem Lebensprojekt mimt.
Den Film „Wild“ mit Reese Witherspoon hingegen habe ich nicht nur einmal, sondern dreimal im Kino gesehen. Ich fand den wirklich fantastisch.
- Und jetzt: der Film „Unbranded, 3000 Miles, 16 wild horses, Mexico to Canada“ ist und bleibt in meiner ewigen Top-Ten-Liste. Ich könnte diesen Film je-den-Tag sehen. Zum Leidwesen meines Partners. Er hat ihn auch schon mehrmals gesehen. Zieht euch mal den Trailer rein. Ihr könnt den Film auf YouTube mieten.
- Und gerade heute Morgen (6.4.) habe ich in der Zeitung von Christina Ragettlis Via Alpina Abenteuer gelesen. Sie hat auch ein Buch darüber geschrieben, das demnächst erscheint. Der Titel: Von Wegen. So gut! 👏👏👏
Das sind alles ganz „normale“ Menschen, keine Freaks, die sich nur von gefundenen Nüssen und Beeren ernähren und sich wochenlang nicht waschen (naja, vielleicht ein paar davon haben sich nicht so oft gewaschen/waschen können). Was mir sehr zusagt, ist deren Fähigkeiten, Kontrolle abzugeben, zu improvisieren, Lösungen für unerwartete Probleme zu finden. Ich liebe das! Das will ich auch. Darin bin ich gut.
Was ihnen allen gemeinsam ist, ist dass sie aus dem gewohnten Leben ausgestiegen sind, einmal etwas komplett anderes gemacht haben und dabei die Welt und sich selbst mit anderen Augen sehen konnten. Für mich ist das das einzig Richtige, denn wir alle haben eine begrenzte Zeit auf diesem Planeten. Da wäre es doch angebracht, möglichst viel davon zu sehen und möglichst vielfältige Abenteuer zu erleben.
Nun, das ist alles schön und gut und mit 17 hat man noch Träume. Ich bin 37 und habe sie immer noch. Wären da nicht noch alle die (vermeintlichen?) Verpflichtungen, wäre ich schon längstens über alle Berge. Aber vielleicht muss ich mich einfach mal anfixen und dann weiter sehen. Im Juni habe ich eine Woche Ferien und noch keine Pläne… Vielleicht wird das der Anfang meiner Weitwanderkarriere?
An die Weitwanderinnen und Weitwanderer unter euch: Wie habt ihr damit begonnen? Habt ihr lange überlegt? War es schwer, alles hinzuschmeissen? Schreibt es bitte in die Kommentare, ich brenne darauf, von euch zu hören!
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